"Mein" Baum ist im Lauf der Jahre gewachsen, tiefer verwurzelt und hat seine Krone immer weiter verzweigt. Er nimmt auf, was ihn umgibt und gibt ab, was er in sich trägt. Noch immer sehe ich in mir das Bild des kleinen, gepfählten Baumes, der mich anrührte und dem ich mit Freuden Freiheit von seiner von Menschenhand gemachten Eingrenzung schenkte.

 

Tag für Tag sehe ich ihn auch heute noch vor meinem Fenster, bewundere ihn für seine Größe und Schönheit, seine Stärke und seine Festigkeit, mit der er mit Mutter Erde verbunden ist - genauso wie für seine Leichtigkeit, die sich zeigt, wenn der Wind durch seine Äste weht und die sich sanft, wie im Tanz, mit der Luft bewegen. Viele Stürme hat er mittlerweile erlebt, die seine Äste manches Mal drohten zu vernichten und seinen Stamm stark beutelten. Doch immer wieder hat er sich aufgerichtet - und ist weiter gewachsen.

 

Ein wenig rauer mag seine Rinde geworden sein...

 

... ein wenig faltiger denn auch mein Gesicht...

 

Bin auch ich gewachsen in den Jahren?

Habe auch ich mich tiefer verwurzelt?

Fühle ich mich frei und leicht und gleichzeitig stark und fest?

Bin ich angekommen und voller Urvertrauen hier auf Mutter Erde?

Lasse ich mich treiben im Fluss des Lebens - ohne viel zu denken?

Nehme ich alles, was kommt, so an, wie es ist - ohne zu bewerten?

 

Auch ich habe mich befreit von einigen Pfählen, die mich eingeengt, begrenzt, belastet haben und mich seit meiner Kindheit "zurechtgestutzt" hatten und den ein oder anderen Sturm überstanden. Vieles von dem, was "man nicht sagt oder tut", habe ich überwunden und sage und tue manches davon jetzt mit Freude, wenn mir danach ist.

 

Eine gerade Linie des Stamms mag auch mir ein wenig fehlen, weil ich mich mitunter hier und da noch verbiege und krümme. Doch ich bin mir bewusst darüber, dass ich es tue, wenn ich es tue. Und so habe ich jedes einzelne Mal die Möglichkeit es zu verändern. Verändere ich es, verändere ich mich und wachse so ein jedes Mal ein wenig mehr in mich hinein und über mich hinaus - werde klarer, freier, authentischer und zugleich leichter, stärker und mutiger.

 

Wenn der Wind mir um die Nase weht, nimmt er meine Gedanken und Bewertungen auf und trägt sie fort - er befreit mich. Und ich weiß, dass ich diesen Wind auch bewusst in mir erzeugen kann, indem ich mich auf mein Hier, mein Jetzt fokussiere. So, wie "mein" Baum es mir zeigt - für ihn gibt es nur das Hier, nur das Jetzt. Gestern ist vorbei, morgen noch weit entfernt. Und hier, in diesem Moment BIN ICH.

 

Ich danke Dir von Herzen, mein lieber Baum, dass Du mich noch immer lehrst und bei mir bist! Ich ehre und verehre Dich! Ich segne Dich und ich segne mich - für das, was wir sind und dafür, dass wir sind!

 

Wir sind zwei und auch eins - verbunden in unserem Sein auf unserer gnadensreichen Mutter Erde. Sie bietet uns den Raum, uns zu entwickeln und unser Sein zu erfahren. Dafür lobpreise ich sie!

 

11.09.2018